Entwicklung von Theaterstücken Teil 3: Die Handlung

 

 

Die „Handlung“ sollte unkompliziert und „einigermaßen“ schlüssig sein.

 

Beispiel „Angeber und Schlappköpfe“: „Eine Gruppe von Schuljungen lässt sich nach Unterrichtsende in der Schule einschließen, um Selbige auf den Kopf zu stellen. Im Verlaufe des Abends setzen sie sich

 

zusammen und erzählen sich gegenseitig Geschichten aus ihrem Leben.“ Auf dieser Grundlage findet man haufenweise brauchbares Material. Erstens sammelt man mit den Darstellern verschiedene Geschichten und zweitens lässt man sie einfach mal über die Frage nachdenken: „Was würdet ihr alles anstellen, wenn ihr unbeaufsichtigt von Lehrern und Erziehern das Schulgebäude für euch hättet?“

 

Als Nächstes überlegst du dir, was bei dem Unterfangen schiefgehen könnte. Probleme geben einem Theaterstück erst die richtige Würze. Bei „Angeber und Schlappköpfe“ vergisst Jihad den Generalschlüssel zu organisieren, so dass die Schüler im Klassenzimmer eingesperrt sind. Dann stellt sich automatisch die Frage, wie die verschiedenen Protagonisten mit den entstandenen Hindernissen umgehen und wie sie aufeinander reagieren. Aus diesen Problemlösungsversuchen sollten sich im besten Falle neue Schwierigkeiten ergeben, damit die Geschichte interessant weitergeht. Außerdem kannst du auch immer wieder Anregungen aus dem echten Leben holen. Das gibt dem Werk seine Lebendigkeit und Authentizität. Mert kam z.B. einen Monat später in die Theater AG und so baute ich ihn nachträglich als den ein, der unabsichtlich in der Schule blieb, weil er im Unterricht eingeschlafen war. Daraus ergab sich auch wieder ein Konflikt, der uns unversehens zum Thema Mobbing führte. Die „Art und Weise“, wie die Jungen sich streiten und wieder vertragen, hatte ich im Schulalltag beobachtet, mir Notizen gemacht und dann schriftlich verarbeitet. Mert hatte tatsächlich öfter mal Bauchschmerzen. Ich vermutete etwas Seelisches dahinter und lies ihn sagen: „Ich kriege Bauchschmerzen, wenn jemand fies zu mir ist!“  Das ist schlicht und hat Tiefe. Mert sagte auch oft in einem ganz bestimmten, belehrenden Tonfall: „Du bist so ein Arschloch …!“  Auch das nahm ich 1: 1 in das Stück mit auf. Er tat keiner Fliege was zu Leide und war immer vernünftig. Deswegen ließ ich ihn in seiner Rolle mal richtig ausrasten um neues Verhalten auszuprobieren. Dafür bot Jihad sich wiederrum als Kontrahent an. Jihad ärgerte oft seine Mitschüler und wenn sie wütend wurden, kreischte er und lief lachend davon. Wenn man also die Verhaltensweisen, die man bei den Schülern im Alltag beobachtet, in die Handlung aufnimmt und ein wenig damit experimentiert, entstehen die Szenen von allein.

 

Im wahren Leben springen die Kinder übrigens sehr schnell zwischen Gesprächsthemen hin und her und sagen, ohne lang zu überlegen, was ihnen gerade durch den Kopf schießt. Diese Dynamik sollte man übernehmen und dabei die Sätze kurz und schlicht halten.

 

 

 

Selimhan: Warum weint er denn?

 

Kasim: Lass ihn in Ruhe

 

Jihad von Hinten: Schlappkopf, Schlappkopf.

 

Pietro: Wenn ich der Geist wäre, würde ich mir als erstes Jihad schnappen.

 

Jihad unsicher: Es gibt aber keine Geister.

 

Kasim: Rachegeister schon.

 

Jihad (reißt sich zusammen): Tschuldigung, Mert … was ist denn mit Dir?

 

Mert: Ich kriege Bauchschmerzen, wenn jemand fies zu mir ist. (Jihad streichelt Mert den Bauch.)

 

Kasim: Es ist schon dunkel draußen.

 

Selimhan: Schmeißen wir jetzt Jihad runter?

 

Jihad: Die haben nur Spaß gemacht Selimhan. Wenn ihr mich da runter schmeißt, bin ich tot.

 

Selimhan: Dann lieber nicht.

 

 

 

Es kommt auch mal vor, dass ich Schüler bei einem Streit beobachte und dann ausrufe: „Superstreit! Den nehmen wir ins Programm auf!“ Nebeneffekt: Die Streithähne sind so verdutzt, dass sie das Streiten vergessen.

 

Noch ein Beispiel:

 

Selimhan (Off): Mach schnell, das stinkt hier hinten.

 

Kasim: Pscht!  Alles klar, nichts mehr zu hören.

 

(Nach und nach erscheinen die Köpfe von Selimhan und Pietro)

 

Selimhan (mit angeekeltem Gesicht): Ist das eklig, irgendeiner hat hier gefurzt.

 

Pietro unschuldig: Ich rieche nichts.

 

Das ist tatsächlich passiert, nur kamen alle sofort aus der Kammer herausgestürzt und warteten nicht lange. Erst war ich genervt wegen der Unterbrechung (Die Bühne war für 10 Minuten nicht benutzbar), dann entschied ich, diese kleine Episode mit aufzunehmen – es war ja sehr authentisch. Außerdem fand ich es lustig, die Fassungslosigkeit in den Gesichtern der Kinder zu sehen, als ich Pietro fragte, ob er das jetzt immer machen könnte, damit die Szene glaubwürdig wirkt.

 

Auch bei der Suche nach einem guten Ende kam mir die Realität zu Hilfe. So lange ein Theaterstück noch nicht fertig ist, bin ich immer unterbewusst auf der Suche nach Lösungen. Eines schönen Tages hatte mal wieder ein Lausebengel den genialen Impuls, den Feueralarmknopf zu drücken, um die Unterrichtszeit für alle zu verkürzen. Das war zu der Zeit gerade Mode und die Schüler ahmten das Alarmgeräusch inzwischen täuschend echt mit ihrem Beat box Repertoire nach.

 

Jihad drückte also den imaginären Alarmknopf und die anderen Jungs jaulten das Alarmgeräusch, während nebenbei der Abschlusstext gerappt wurde. Alles andere als ein komplexer Plot, aber das interessiert niemanden, solange die Jungs ihr Stück mit Humor und Spaß runterspielen. Feedback der erwachsenen Zuschauer – ein schmunzelndes: „Ja, so sind sie!“

 

Feedback der zuschauenden Mitschüler: „Cool! Ich will auch!“

 

Das waren jetzt einige Beispiele aus nur einem Theaterstück. Mehr Material findest du in den Dokumentationen zu den verschiedenen Theaterprojekten.

 

Hier noch einige Zielsetzungen und Strategien die mir bei der Entwicklung von Theaterstücken wichtig waren.

 

1.       Die Textmenge erst einmal möglichst gleichmäßig auf alle Schauspieler verteilen, dabei aber die Fähigkeiten aller Beteiligten berücksichtigen, damit keiner über – oder unterfordert wird.

 

2.       Recherchieren und studieren: Bei „Die Zeitmaschine“ hatte ich mir alle Sendungen mal angesehen, die mir die Kinder genannt hatten und mich teilweise bei den Dialogen bedient. Ich empfehle dir generell, mal öfter Sitcoms anzuschauen, weil deren Dialoge sehr gut pointiert und rhythmisiert sind.

 

3.       Möglichst keine Hauptrollen einbauen. Jedenfalls nicht so, dass das Stück von ein oder zwei Personen getragen wird und die anderen ihnen nur zuspielen.

 

4.       Jedem Darsteller mindestens eine Szene geben, wo er im Mittelpunkt ist und sich besonders hervortun kann.

 

5.       Beobachte das Verhalten der Darsteller, aber auch ihrer Mitschüler, im Alltag. Mache dir zwischendurch Notizen, wenn etwas Interessantes passiert. Das ist Spitzenmaterial für dein Theaterstück.

 

6.       Beobachte deine Schauspieler während der Probenpausen, wenn sie anfangen auf der Bühne herum zu blödeln. Da passieren oft kreative Sachen, weil sie da die Kontrolle loslassen.

 

7.       Berücksichtige möglichst viele Wünsche und Ideen der Schüler, um ihre Motivation aufrecht zu halten. Aber übertreibe es wiederrum nicht so, dass ihr ständig alles wieder umschmeißt und ändert. Manche Ideen kann man erst einmal zurückstellen, um den Probenprozess nicht zu unterbrechen. Andere Ideen sollten gewürdigt werden, auch wenn ihr sie nicht umsetzt

 

 

 

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