Dokumentation von die Zeitmaschine

Im Frühling 2013 zog ich nach Spandau um und musste mir dort eine neue Schule suchen, weil der Arbeitsweg nach Neukölln sonst zu lang geworden wäre. Zum Glück ging meine Neuköllner Schuldirektorin mit mir zu einer Presse - Präsentation des Angebotes „Grips Fieber“  im Berliner Grips Theater. Dort wurde ausgerechnet der Schuldirektor einer Spandauer Grundschule dazu interviewt, wie an seiner Schule theaterpädagogische Projekte umgesetzt wurden. Das war für mich ein deutliches Schicksalszeichen. Ich ging gleich nach der Präsentation auf ihn zu und stellte mich vor. Ein halbes Jahr später war ich Erzieher an dieser Schule. Dort lernte ich durch die Grips Pädagogen, dass Theaterpädagogik weit über Arbeit auf der Bühne hinausgeht. Eine Projektbeschreibung der Gripswerke kannst du dir ja mal über den folgenden Link ansehen:

 

 

 

http://www.gripswerke.de/veroeffentlichung/2017/2015-16_DokumentationTKS.pdf

 

 

 

Für mich war jedoch klar, dass ich meinen Fokus weiterhin auf gute Theaterproben und unterhaltsame Auftritte richten würde. Ich wurde einer kleinen Halbtags - Klasse zugeordnet (Fünfte Jahrgangsstufe/ 14 Schüler), die eine sehr spezielle Dynamik hatte (eine seltsame Mischung aus Trägheit und Widerborstigkeit) und ein paar neue Impulse brauchte. Die Klassenlehrerin konnte zwar nicht viel mit Theater anfangen, gab mir aber trotzdem genug Freiraum, um mit den Schülern zu proben. Ich beschloss, die Schüler da abzuholen, wo sie sich vorwiegend aufhielten: Vor ihrem TV Gerät. Dazu interviewte ich sie in kleinen Gruppen zu ihren Lieblingssendungen und TV Stars. Das war nebenbei eine gute Möglichkeit die Kinder etwas kennenzulernen.

 

Schon in meiner Ausbildung hatte ich gelernt, dass es nichts bringt, Medien und übermäßigen Fernsehkonsum zu verteufeln. Stattdessen nimmt man das Konsumprodukt als Mittel zur eigenständigen Kreativität. Man sitzt nicht vor der Mattscheibe und lässt sich stumpf berieseln, sondern beobachtet, was die Schauspieler dort machen, analysiert es und verarbeitet es durch eigene Aktionen. Wie bewegen sich die Schauspieler? Was ist so witzig an dem was sie tun? Wie können wir das in unser Theaterstück übernehmen?

Man kann das Medium auch zum sozialen Lernen nutzen. Z.B: "Nicht alles was im Fernsehen witzig ist, ist auch im wirklichen Leben witzig." Das kann man durchaus rüberbringen, ohne dabei zu moralisieren. Auf der Bühne und im Fernsehen kommt es nicht darauf an, nett zu sein und alles richtig zu machen, sondern seinen Impulsen zu folgen und Probleme zu kreieren. Im richtigen Leben jedoch bedeutet ein ähnlich „witziges“ Verhalten oft, dass man sich selbst und seinen Mitmenschen schadet.

 

Ich finde diese Ehrlichkeit wichtig! Ja, es macht Spaß, andere Menschen zu übervorteilen, zu verarschen und zu demütigen. UND man tut ihnen damit weh! Beides ist die Wahrheit! Welche Entscheidung triffst du? Deine Taten machen aus, wer du bist. Nicht deine Gefühle!

 

Die Schüler konnten sich wünschen, aus welchen Sendungen wir uns für das Theaterstück bedienen und hatten die Aufgabe, am Fernseher ihre Vorbilder zu studieren. Nicht alle Wünsche konnten erfüllt werden, aber doch genug, um alle Mitspieler zufriedenzustellen. Wir nahmen „Jessie aus New York“, „Simpsons“ und „Zwerge allein im Wald“. Ich schaute mir die entsprechenden Sendungen an, um mir Anregungen für die Texte und die Gestaltung der Szenen zu holen. Damit es keine Probleme mit Urheberrechten gab, veränderte ich die Dialoge sehr stark und verfälschte die Namen der Protagonisten.

 

Auf die Rahmenhandlung kam ich durch eine sehr interessante Improvisations - Schauspielübung: Die Maschine! Ein Schüler geht auf die Bühne und macht eine „sich wiederholende Bewegung“ mit einem sich wiederholendem Geräusch. Damit ist dieser Schüler das erste Bauteil der Maschine. Dann kommt der nächste Mitspieler und fügt sich als zweites Bauteil hinzu. Am Schluss hat man eine sehr geräuschvolle und lebendige Maschine. Das wurde unsere Zeitmaschine!

 

Da manche Eltern Sorge hatten, ihre Kinder würden beim Theaterprojekt wertvolle Unterrichtszeit verlieren, baute ich Unterrichtsstoff im Theaterstück ein. Die Story beginnt in einer Schule, in der Geschichtsunterricht vermittelt wird, indem man durch die Zeit reist. Leider wird die Zeitmaschine von den Kindern so manipuliert, dass sie nicht zur Entdeckung Amerikas ins Jahr 1492 fährt, sondern in verschiedene TV Sendungen. Bevor der Geschichtsunterricht beginnt, werden in dieser Szene übrigens noch Erdkundekenntnisse vermittelt.

 

Wir bekamen gleich am Anfang ein polnisches Mädchen in die Klasse, welches kein Deutsch, aber dafür Englisch konnte. Sie sollte die Austauschschülerin „Prinzessin Barbie“ aus New York sein. Aber wie sollten wir ihren Text fürs Publikum untertiteln? Die Lösung war, dass ich ihr den Bodyguard Dwayne (Dominik) als persönlichen Übersetzer zur Seite stellte. Da Prinzessin Barbie zwei Köpfe größer war als er, gaben die beiden ein sehr putziges Pärchen ab. Jedenfalls war der Forderung nach gutem Unterrichtsstoff Genüge getan: Es gab Erdkunde, Geschichte und Englisch!

 

Da „die Zeitmaschine“ mein erstes Projekt an dieser Schule war, steckte ich unglaublich viel Ehrgeiz hinein. Im Nachhinein betrachtet etwas zu viel Ehrgeiz. Ich holte die Schüler oft in ihren Freistunden zum Textlernen. Das war für sie und auch für mich sehr anstrengend. Immerhin bedeutete das ja, dass ich gleichzeitig probte, aber auch Aufsicht über die hielt, die gerade nicht probten. Wenn es dann Konflikte zwischen den „nicht probenden“ Schülern gab, musste ich die Proben deswegen jedesmal unterbrechen und neu wieder aufnehmen. Das war sehr kräftezehrend. Außerdem schrieb ich in meiner Freizeit neun verschiedene Skripte für den Fall, das jemand bei der Aufführung ausfällt. Wenn jemand wegen Krankheit bei den Proben fehlte, las ich nicht den Text rein, sondern setzte voraus, jetzt wäre Aufführung und entwarf schnell einen Plan, wie man es trotzdem hinkriegen würde. Meine Fertigkeiten beim Stücke schreiben hatten sich dadurch enorm weiterentwickelt. Als Barbie mal einige Wochen fehlte, drückte ich Dominik eine Barbie Puppe in die Hand, die er als weibliches Alter Ego benutzen sollte. Das war natürlich die komischste Variante. Besonders interessant war die Stelle als die Indianer mit Pfeilen auf Barbie schossen und Dwayne sich schützend dazwischenwarf.

 

Maurice hatte starke ADHS Probleme und deswegen setzte ich ihn so ein, dass ich mich beim Proben voll auf ihn konzentrieren konnte, er aber auf den Schulhof gehen konnte, wenn er nicht gebraucht wurde. Bart Simpson war sein großes Idol und Maurice war perfekt für die Rolle. Im Grunde war er sogar noch mehr Bart Simpson als das Original.

 

Rumeysa (Rum) war die Klassenbeste und dementsprechend gut geeignet um die Lehrerin zu spielen. Sie konnte auch gut Text lernen und bekam entsprechend viel  davon. Rozerin (Roz) ist ein liebes Mädchen, aber nicht die Hellste. Agron (Agr) war tatsächlich oft genervt von Rozerin und sagte auch im Alltag: „Oh Mann, Rozerin!“

 

Die Aufführung lief phantastisch und war ein gelungener Einstieg um auf meine Theaterarbeit aufmerksam zu machen. Die Schüler hatten größtenteils an Mut und Selbstvertrauen dazugewonnen. Viele zuschauende Lehrer waren überrascht, was aus dieser Schulklasse herauszuholen war.

 

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