Dokumentation von Gangster, Girls und Rock´n´roll

Lief an unserer Schule unter "Das verrückte Showrestaurant"

 

 

 

Als ich die ersten Aufwärmspiele mit der neuen Theater AG durchführte, merkte ich schnell, dass ich bei der Stoffsammlung diesmal anders vorgehen kann. Es waren mindestens zwei kreative Köpfe dabei, die vor Ideen sprühten. Denen sollte Raum gegeben werden. Ich lies sie also auf die Bühne gehen und erlaubte ihnen, einfach mal drauflos zu improvisieren. Es entstand ein kreatives Chaos und viele Streitigkeiten. Lea versuchte die Führung zu übernehmen, schaffte dies aber nur in Bezug auf die Mädchen. Die Jungs machten ihr eigenes Ding und spielten Gangster. Trotzdem griff ich so wenig wie möglich ein, machte mir Notizen über alles was gewollt oder ungewollt passierte und gab zwischendurch kleine Tipps dazu, was aufgegriffen, verändert oder wiederholt werden sollte. Das Grundthema „Restaurant“ hatte sich schon in den ersten Stunden etabliert und ich bat sie, dabei zu bleiben. Es war faszinierend zu beobachten, was alles spontan in diesem Mikrokosmus entstand, um gleich darauf wieder in der Vergangenheit zu verschwinden.  Das waren Szenen, die man unmöglich reproduzieren konnte. Sie waren geprägt vom Augenblick und von kleinen Impulsen aus dem Unterbewusstsein. Purer Avantgardismus! Die Schüler hatten die Freiheit, erst einmal unzensiert auf der Bühne alles zu zeigen, was ihnen in den Sinn kam. Es durfte nur niemand geschlagen oder persönlich beleidigt werden. Mit „persönlich“ meine ich, dass niemand als Person auf der Bühne beleidigt werden durfte. Wenn klar ist, dass man gerade in einer Figur ist, war beleidigen erlaubt.

 

Die Freiheiten, die ich den Darstellern gab, trug zeitweise abstruse Blüten. Ich erinnere mich noch deutlich daran, wie die kleine, nette kreative Lea über die Bühne stolzierte und rief: „Brennt alles nieder, es darf keine Überlebenden geben!“ Ich hatte keine Ahnung, wo sie das aufgeschnappt hatte und das sind auch Worte, die man normalerweise nicht aus einem Kindermund hören möchte. Trotzdem hatte ich diese „Idee“ sogar teilweise im Text mit aufgenommen: “Ich kann nicht mehr. Ich brenne hier alles nieder“.

 

Ein besonders schräger Typ war übrigens Youssef. Eine Seele von einem Kerl mit kugelrunden Hundeaugen, die verwirrt hin und her eilten und den Kopf dabei mühevoll hinterher zogen. Er sagte auch außerhalb der Bühne spontan irgendwelches Zeug, das völlig unlogisch wirkte. Ich hatte aber trotzdem das Gefühl, dass er immer genau wusste, was er tat. Er ist durch und durch eine eigenwillige Künstlerseele. Freie Improvisation von morgens bis abends. Seine geniale Spontanität in Form zu bringen und zu reproduzieren war eine Riesenaufgabe. Er stotterte auch manchmal, konnte sich schwer Sätze merken oder sich fokussieren. Sein gedankenverlorenes Spiel mit dem „Vorhang-auf-und-zu-Schalter“ und sein spontaner Ausbruch mit dem „Käsemonster“ fanden Einzug in die Schultheater – Literatur. Ich weiß bis heute nicht, ob sein Ausruf: “Das Käsemonster, da hinten ist das Käsemonster!“ nicht doch irgendwie ernst gemeint war. Jedenfalls mochte er keinen Käse, wie ich beim gemeinsamen Essen feststellen sollte.

 

Da die Schüler zwar weiter vor Ideen sprühten, sich aber nicht organisieren konnten, begann ich Szenen zu schreiben, die auf dem basierten, was ich bei den Impros notiert hatte.

 

Als Anfangsimpuls setzte ich die drei Showgirls, die an den Bühnenrand traten und Werbung für ihr Restaurant machten. Es sollte gleich mit einem Donnern losgehen! Energie auf dem höchsten Niveau.  Der Spot geht an, und Marmara (Meryem) fegt durch den geschlossenen Vorhang und ruft laut: „Herzlich willkommen in unserem verrückten Showrestaurant!“ Siciliana (Secil) und Lana (Lanya) zogen mit der selben Power nach. Ich musste ihnen sehr oft vorspielen, wie ich mir die Lautstärke und die Begeisterung vorstellte, die ich von ihnen sehen wollte, denn wenn sie zu Beginn nicht alles gaben, würde das ganze Stück nicht in Schwung kommen. Diese „leidenschaftliche Energiearbeit“ hat bei mir einen hohen Stellenwert. Sie überträgt sich aufs Publikum, dass Publikum gibt die Energie zurück und dieses Wechselspiel zieht sich durch die ganze Vorstellung.

 

Dann tritt die Chefin Lena (Lea) auf, die ihre Showgirls zum Proben hineinruft. Kaum verschwinden die Showgirls hinter dem Vorhang, kommen die Gangster, die behaupten, sie wären die neuen Schauspieler. Lea nimmt sie sofort in ihr Krimidinner Ensemble auf.   Das Engagement von Lea sank übrigens, sobald es daran ging, Texte zu lernen und Regieanweisungen zu verinnerlichen. Das war offensichtlich nicht ihr Ding. Ich gab ihr recht viel Text, da ich ihr viel zutraute, aber sie lernte nicht ordentlich und sie brachte auch keine Emotionalität auf die Bühne, wenn ich sie dazu animierte, sondern sie zog sich zurück. Meryem wiederrum blühte auf und kombinierte munter meine Regieanweisungen mit ihrer eigenen Kreativität und Lebendigkeit. Sie schüttelte alles irgendwie aus dem Ärmel und sprühte vor Ideen. Die anderen Mädchen flankierten sie dabei und brachten außerdem ihren eigenen Charme und Humor mit. Daryo und Hivda sollten die Gäste spielen (Darus und Hivdana). Ein reicher, mürrischer Mann mit Krückstock und seine Freundin. Nach zwei Monaten stiegen Felix und Natalia ein und ich bastelte eine Szene, in der sie das Restaurant betreten und dort auf Darus und Hivdana treffen. Hivdana ist eine alte Schulfreundin von „Natania“.  Es gibt ein großes „Hallo“ und beide versuchen sich erstmal mit dem zu übertrumpfen, was sie bisher im Leben erreicht hatten. Natania sagt, sie wäre inzwischen eine berühmte Sängerin und Hivda behauptet, es als Modedesignerin geschafft zu haben.

 

Felix, als der Musikproduzent „Dieter“, und der wohlhabende Darus konkurrieren im Gespräch mit den meisten Autos, den meisten Villen und den größten Swimmiing Pools. Zwischendurch gibt es immer wieder irgendwelche Showeinlagen mit den Gangstern und den verrückten Suppengirls, gewürzt mit kleinen Pannen, verursacht von dem Kellner You (Youssef), der nebenbei noch kochen und sich um die Bühnentechnik kümmern muss. Damit diese Pannen (Vorhang an der falschen Stelle öffnen, Licht geht mitten in der Vorstellung aus etc.) auch funktionierten, mussten wir jedes Detail auf den Punkt proben. Ehrlich gesagt, eine nervenzerfetzende Arbeit, da Youssef ja tatsächlich oft sehr verpeilt war. Aber er kämpfte sich in seine Aufgaben hinein und wuchs damit.

 

 

 

Leider gab es oft Probleme und Streitigkeiten mit den Jungen hinter dem Vorhang. Wenn man vorne mir den Darstellern konzentriert probt und gleichzeitig Backstage gestritten wird, geht das mit der Zeit an die Substanz. Es ist auch schwer herauszufinden, wer der Verursacher ist, weil sich naturgemäß alle gegenseitig beschuldigen. Jedenfalls nahm ich Daryo irgendwann aus der Theater AG heraus und dafür sprang Alina ein. Dieter (Felix) musste sich also fortan mit einem Mädchen darüber streiten, wer jetzt mehr Swimming-Pools, Autos und Villen besitzt. Die Proben steckten aber trotzdem fest, weil es immer noch sehr viele Störungen gab. Ich wurde fortwährend gereizter und hätte am liebsten alles hingeworfen. Es war alles nur noch ein einziger Krampf. Ich kritisierte immer undifferenzierter und wurde launisch und engstirnig. Als einmal eine der Mütter in die Proben hineinkam, fuhr ich sie an, dass man doch nicht so einfach in Theaterproben hineinplatzen könnte. Dann kam der Tiefpunkt! Der Vater eines Theaterkindes kam in die Proben und beschwerte sich über meine Arbeitsweise. Er ging sogar zur Schuldirektorin. Es gab ein Gespräch mit der Elternsprecherin, begleitet von Jacub aus der Schulstation. Ich war am Boden zerstört und schämte mich für das Verhalten, was mir widergespiegelt wurde. Jacub bot an, bei der Theater AG einzusteigen und hinter der Bühne aufzupassen, dass nicht gestört wird. Daraufhin trafen wir uns mit den Kindern der Theater AG und baten sie, einmal zu sagen, wie es ihnen mit den Proben ging und boten ihnen an, sofern sie sich nicht mehr wohl fühlten, aus der Theater AG auszutreten.  Das Angebot auszutreten, wurde von Lea und Felix in Anspruch genommen. Die anderen wollten bleiben und weitermachen. Für Lea sprang Charlyn als Restaurantchefin ein (Charlotte), für Felix kam Benny, der auch in meiner anderen Theater AG (Die Magierin vom Magistratsweg) dabei war. Nach zwei Proben merkten wir, dass sich die Unruhe hinter der Bühne immer noch fortsetzte. Mit der Hilfe von Jacub lokalisierten wir Ali (Al) und Mustafa (Mustang) als Hauptverursacher und baten sie, die Theater AG zu verlassen. Von den Gangstern blieb also nur noch Jacob (Jack). Zum Glück war der Klassenprimus Lukas (Luke) bereit, eine Rolle als Gangster zu übernehmen. Er schien mir erst einmal etwas farblos zu sein, aber das sollte sich ändern. Von nun an wurde es Backstage ruhiger und alle konnten gelassener arbeiten.

Wenn ich ehrlich bin, ist es jedes mal, wenn ich ein Kind aus der Theater AG herausschicke nicht nur blöd für das Kind, es ist auch ein Schlag für mein Ego. Trotzdem ist es besser früher zu handeln, wenn man merkt, dass es einfach nicht mehr geht. Ich fürchte mich dann ja immer vor der Frage: „Sinn der Theater AG ist es doch auch, die schwierigen Kinder mitzunehmen. Wenn das nicht klappt, ist es ja keine besondere Leistung.“ Tja, wieder was dazu gelernt. Das wahre Leben hatte meinem Ego einen Tritt verpasst und das war gut so. Mustafa und Ali haben den Ausschluss verkraftet und der Rest des Ensembles hatte davon profitiert.

 

Lukas und Jacob wuchsen in ihre Gangsterrollen rein und wurden mutiger und klarer. Lukas war kein Senkrechtstarter, aber er konnte diszipliniert an sich arbeiten und er hatte Freude daran. Meine Schauspiellehrerin hatte mal gesagt: „Talent ist Arbeit!“ Lukas war der lebende Beweis dafür. Seine Kurve ging nicht auf und ab, sondern bewegte sich langsam und kontinuierlich nach oben. Das sollte sich auch in dem nachfolgenden Theaterstück „Rotkäppchen und die sieben Zwerge“ zeigen.

 

Trotzdem schafften wir es nicht, das Stück zum Jahresende bühnentauglich vorzubereiten. Diesmal setzten wir uns mit den Kindern zusammen und nahmen sie bei der Problemlösung mit ins Boot. Meryem schlug vor, zum Jahresende nicht das Ganze Werk, sondern einzelne Passagen zu zeigen und darauf hinzuweisen, dass im nächsten Jahr das ganze Stück gezeigt wird. Und so machten wir es. Die „Magierin vom Magistratsweg“ von der anderen Theater AG war ja eh nicht so lang, also zeigten in einem Rutsch den „Preview“ für das verrückte Showrestaurant und dann das andere Theaterstück. Die Wiederaufnahmeproben nach den Sommerferien konnten entspannt angegangen werden, da wir ja nicht mehr unter Zeitdruck waren. Im Frühjahr 2017 gab es die Premiere und bei den Grundschultheatertagen waren wir voll auf der Höhe. Übrigens stieg Benny kurz vor der Premiere aus und Joel sprang für ihn, als Dieter, ein. Damit es klappte, musste ich Joel noch schnell mal ein paar Einzelproben geben. Tja …  und da Joel kurz vor den Grundschultheatern krank wurde, versuchten wir es tatsächlich noch einmal mit Daryo in der Rolle vom Dieter. Den Text hatte er schnell drauf, da er ja ursprünglich als Darus Dieters Gegenspieler war und ihn oft genug gehört hatte. So schließt sich der Kreis! Am Ende hatte ich mal wieder vieles falsch gemacht und es ist trotzdem ein tolles Theaterstück dabei herausgekommen. Denn zum Glück hängt nicht alles von mir allein ab, auch wenn es sich manchmal so anfühlt.

 

Nachdem ich „Hänsel und Gretel“ beim deutschen Theaterverlag in Weinheim untergebracht hatte, bearbeitete ich jetzt auch „Das verrückte Showrestaurant“ und bot es ebenfalls an. Zu meiner großen Freude nahmen sie es und das bewies mir, das „Hänsel und Gretel“ nicht nur Zufall war. Sie bemängelten nur, dass ja nicht jede Schule einen Vorhang hat, der durch die Betätigung von „You“ ja eine zentrale Rolle spielte. So schrieb ich zwei Varianten für das Stück. Eines mit und eines ohne Vorhang. Bei der Variante „ohne Vorhang“ setzte ich Musik für die Suppengirls ein, die You immer an den falschen Stellen einspielt und Charlotte damit zur Verzweiflung treibt.

 

You wurde in Lou umgetauft und ich überlegte mir auch noch einen schönen Prolog, der den Zuschauer in die Geschichte hineinführt.

 

Da es beim deutschen Theaterverlag ohnehin schon einige Stücke gibt, die mit „das verrückte …“ oder „die verrückte …“ tituliert werden, nannten wir das neue Baby „Gangster, Girls und Rock`n`roll.“

 

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