· 

Dokumentation magische Flöte

„Die magische Flöte“ hatte ich im selben Jahr wie „Affen und Außerirdische“ und „Alltagsgeschichten“ entwickelt.

 

Bevor wir das Thema „Hypnose“ fanden, prüften wir auch noch andere Optionen. Ich frage die Kinder anfangs immer, ob sie irgendwelche speziellen Fähigkeiten haben, die sie einbringen könnten.

 

Dafine machte zum Beispiel Chearleading und Selcan Bauchtanz. Adis stand auf Breakdance. Das regte uns dazu an, eine Story über eine Dance Competition zu entwickeln. Immerhin gibt es reichlich Musikfilme, von denen man sich inspirieren lassen könnte. Um Charaktere zu entwickeln notierte ich für die Kids folgende Fragen:

 

Wie könnten die „Figuren“ heißen?

 

Was mögen sie?

 

Was mögen sie nicht?

 

Wie sehr mögen oder hassen sie sich gegenseitig?

 

Damit beschäftigten wir uns auch eine Weile. Bis zu dem Augenblick, in dem ich sie bat, mal was vorzutanzen. Das hätte ich gleich am Anfang machen sollen. Denn sie waren nicht bereit dazu, so sehr ich auch versuchte sie dazu zu ermutigen. Ehrlich gesagt war ich deswegen etwas angefressen. Zu Unrecht! Es sind ja keine Profis, sondern Schulkinder. Da gehört schon Mut dazu, in so einem Rahmen mal eben etwas vorzutanzen. Der Breakdancer traute sich, aber der war noch nicht sicher genug und das war mir zu gefährlich. Ich wollte nicht erste Hilfe leisten müssen, weil er sein Können nicht richtig einschätzen kann.

 

Weitere interessante Ideen

 

-          Sie reisen zum Mond und werden dort von Zombies gefressen. (Zombies sind immer ein beliebtes Thema)

 

-          Alle sind in einem Raum gefangen und jeder muss ein Rätsel lösen um da raus zu kommen.

 

Die zweite Idee hätte ich noch reizvoll gefunden, dann erzählte aber eines der Kinder: „Da war mal ein erfolgloser Musiker und der hatte herausgefunden, dass man rückwärts spielend andere hypnotisieren kann.“ Hypnose! Das war es! Es gibt unendlich viele Möglichkeiten mit Hypnose spannende und witzige Situationen zu erzeugen. Es gibt ebenfalls viele Möglichkeiten, zu phantasieren, was man alles machen könnte, wenn man Leute hypnotisiert. Welche Wünsche könnte man sich da erfüllen? Was kann man damit Gutes aber auch Böses tun? Immerhin geht es hier um eine starkes Machtinstrument. Und Macht kann missbraucht werden.

 

Ich fragte die Schüler, was sie machen würden, wenn sie andere Leute hypnotisieren könnten. Vor allem fragte ich sie, WEN sie hypnotisieren würden. Was für Folgen würde das haben? Ist es in Ordnung, andere Leute gegen ihren Willen zu hypnotisieren?

 

Zuerst fielen ihnen Menschen ein, denen sie sich gegenüber machtlos fühlen. Das setzten wir später in der Rolle der kleinen Lena um, die endlich mal ein Mittel hatte um sich gegen die Tyrannei der Jungs zu wehren, die ihr ständig das Essensgeld abzogen. Die „Gangster“ wurden von Karim und Erwin gespielt. Ich war etwas ratlos, als die beiden sagten, sie wollten Gangster spielen. Sie waren sehr harmlose und tapsige Typen, weshalb es ihnen wohl ein Bedürfnis war, mal „cool“ zu sein. Aber es wirkte immer ein bisschen peinlich, wenn sie versuchten „gefährlich“ zu sein. Also stufte ich sie als komische „Möchtegern Gangster“ ein. Natürlich sagte ich ihnen das nicht. Ich sagte ihnen, dass sie gefährliche Typen spielen, die leider viel Pech haben und immer den falschen Leuten über den Weg laufen. Meistens ist es ja auch so, dass die Bösen am Ende verlieren. Dafür hatten die beiden Verständnis. Sie kamen bei der Aufführung gut an und ihr ungewolltes komisch sein wirkte wie gut gespielte Comedy.  Klingt erst mal ein bisschen fies, aber was zählt, ist das sie am Ende viele „positive“ Lacher und reichlich Anerkennung ernteten.

 

Lena fällt also die Flöte in die Hände und sie nutzt diese verständlicherweise, um sich gegen ihre Unterdrücker zur Wehr zu setzen. Dann flötet sie sich in einen regelrechten Rausch und hypnotisiert jeden, der ihr über den Weg läuft. Sogar Emma, die sie nicht tyrannisiert, sondern freundlich versucht, ihr ins Gewissen zu reden, wird in einen Hund verwandelt.

 

An der Art, wie Lena sich die Flöte aneignet merkt man allerdings auch, dass sie es faustdick hinter den Ohren hat:

 

 

 

Lena tritt auf: He Goku, was ist das für ne Flöte? Seit wann bist du Musiker?

 

Goku:                          Bin ich nicht. Das ist ne Zauberflöte. Wenn man hineinpustet und magisch mit dem Kopf wackelt kann man damit Leute hypnotisieren.

 

Lena (schnappt sich die Flöte):         Klasse, genau sowas brauche ich.

 

Goku:              Hey, gib die wieder her!

 

Lena:               Hilfe!   Er will mir meine Flöte wegnehmen. Warum hilft mir denn keiner?

 

Goku:             Psscht, pschscht, ruhig. Ist ja gut beruhige dich, jetzt gib schon her.

 

Lena (kreischt und schmeißt sich auf den Boden): Aaaaah, Aua Aua! er hat mich geschlagen.

 

Ruffy:             Hey Alter, schlägst du kleine Kinder?

 

Goku:              Nein! Die hat mir die Flöte gestohlen.

 

Ruffy:             Willst du mich verarschen?

 

Goku:              Nein!

 

Ruffy:                         Schrei mich nicht an!

 

Goku (schreit):           Ich schreie nicht!

 

Lena:                           Er hat mich angeschrien! Ich habe Angst!

 

 

 

Ursprünglich hatten wir die Idee, Lehrer, Eltern oder den Bürgermeister zu hypnotisieren, aber wenn die Kinder versuchten Erwachsene zu spielen, wirkte das immer sehr künstlich. Ich wollte sie lieber als die Persönlichkeiten zeigen, die sie sind. Ohne verstellte Stimmen. Dabei musste ich an die Peanuts denken. Bei denen kommen auch keine Erwachsenen vor. 

 

Selcan und Dafina konnten sich als fluchende und beleidigende Schwestern austoben. Besonders für die zurückhaltende Selcan war das eine Herausforderung. Ich musste sie ganz ordentlich provozieren um ihr freundliches Lächeln, hinter dem sie sich versteckte, aufzulösen. Selcan gehörte zu den wenigen Kindern, denen es mal guttat, aus sich heraus zu kommen und massiv zu schreien und zu keifen. Zuerst weinte sie allerdings aus Frust darüber, dass sie es nicht hinbekam. Ich ermutigte sie an dieser Stelle dran zu bleiben und diesen Frust zu nutzen und zu fluchen. Wenn ich sage „ermutigen“, dann bedeutet das bei mir kein freundliches Zureden, sondern ein leidenschaftliches, forderndes und motivierendes Coachen.  Nachdem der Knoten bei ihr platzte lernte ich eine neue, lebhaftere Selcan kennen. Ich würde das so nicht bei allen Kindern so machen. Selcan wirkte aber stabil genug um damit umzugehen. Das bestätigte mir auch ihre Erzieherin. Natürlich muss man mit „Provokationen“ immer vorsichtig sein und es auch nicht übertreiben. Manchmal spürt man aber, dass es stimmig ist. Irgendwie konnte ich bei ihr mitfühlen und dadurch wissen, wie weit ich gehen kann.

 

In dieser Phase meiner Entwicklung als Dramaturg und Regisseur spielte ich viel mit „Schimpfworten“. Schimpfworte sind im Theater „jenseits der gesellschaftlichen Konventionen“ ein probates Mittel, um Emotionen auf die Bühne zu bringen. Da „die richtigen Schimpfworte“ aber falsche Signale an unser junges Publikum gesendet hätten und möglicherweise Skepsis bei den Eltern und der Lehrerschaft hervorriefen, verfälschte ich sie ein wenig:

 

Krampe anstatt Schlampe

 

strick dich selber anstatt F… dich selber

 

Mistkrück – e anstatt  Miststück

 

Außerdem: Abfallfresserin, Popelnase, Ekelpizza … das machte richtig Spaß, neue Schimpfworte zu erfinden.

 

Bei diesem Projekt konnte ich jede Rolle auf die einzelnen Darsteller zuschneiden. Es waren alles „Typen“ die so wie sie waren schon interessante und lustige Figuren abgaben. Dominik, der kleinste von allen, spielte Max, den Erben der Flöte, der sich dazu berufen fühlt, die Weltherrschaft an sich zu reißen. Er spielte im Vorjahr bei „Die Zeitmaschine“ den Bodyguard Dwayne. Miroslav (Goku) hatte kugelrunde Augen, die entweder empört oder erstaunt in die Welt hinausschauten. Er hatte eine große Klappe und war gleichzeitig sehr naiv. Ständig rutschte er in irgendwelche Schwierigkeiten und wusste später nicht, wie das passieren konnte. Die beiden gaben ein großartiges paar Freunde auf der Bühne ab.

 

Eine der schwierigsten Übungen war es übrigens, die Flöte glaubwürdig wegzunehmen. Das passiert ja einmal zwischen Max und Goku und dann nochmal zwischen Goku und Lena und Emma und Lena. Die, denen die Flöte weggenommen wird, müssen sich klar machen, dass sie dem Mitspieler die Flöte hinhalten, um sie ihnen zu zeigen und nicht um sie ihnen zu geben. Dann muss noch ein guter Double Take gemacht werden: Ein Blick auf die Hand, in der eben noch die Flöte war und der nächste Blick zu dem Gegenüber, das die Flöte an sich gerissen hat. Dabei müssen Mund und Augen weit aufgerissen sein. Man muss also den Mut haben, „Blöd auszusehen“. Das können alle gemeinsam lernen. Ohne erstauntes Blicken des “Betrogenen“ wäre manche Pointe verloren.

 

Adis spielte den coolen Checker Ruffy der den beiden Handyabziehern Alex und Herobrine die Handys abzieht. Adis war ein sehr verschlossener, wütender Junge mit großen emotionalen Problemen. Man merkte deutlich, wie tief die Verunsicherung war, die hinter seinem Trotz steckte. Es tat ihm gut, mal einen coolen Checker zu spielen. Für mich war es aber auch ein kleines Wunder, dass er sich später darauf einließ, unter Hypnose durch die Gegend zu tänzeln und zu rufen: „Ich bin eine Barbie, ich bin eine Barbie!“ Immerhin ist er Araber.

 

Max will die Flöte unter anderem nutzen, um die Lehrer zu hypnotisieren, damit er bessere Noten bekommt. Die Idee mit der Weltherrschaft ist ja eher von seinem Ur Urgroßvater und, na ja, wenn der darauf besteht, denn kann man das ja nebenbei auch noch mitnehmen. Hauptsache keine Hausaufgaben mehr machen müssen. Emma bietet ihm später Nachhilfe an und zeigt auf, dass man nicht betrügen muss, um erfolgreich zu sein.

 

Am Ende steht das Bild mit lauter „hypnotisierten Irren“ die quer über die Bühne laufen und tanzen und sinnlose Sachen ins Publikum rufen.

 

In diesem Theaterstück verdichten sich viele Slapstick Szenen auf einen sehr kurzen Zeitraum. Die Beteiligten mussten nicht übermäßig viel Text lernen und hatten viel Zeit zum improvisieren und Spaß haben. Besonders in der Aufwärmphase hatten wir häufig „Hypnotisieren“ gespielt.

 

Ach ja: um Ruffy die Hemmungen zu nehmen, als Barbie über die Bühne zu laufen, ließ ich alle gemeinsam als Barbie über die Bühne laufen. Jeder versuchte, seine Mitspieler im „Barbie sein“ zu übertreffen.  Es wurden auch alle mal in Hunde verwandelt und in „liebkosende Worte dahinbrabbelnde Schwestern“, sowie in piepsende und flatternde Vögelchen.

 

Mit diesem Stück traten wir auch außerhalb der Schule in der Stadtbibliothek auf. Das funktionierte sogar auf einer winzig kleinen 12 qm Bühne. Ich denke, wenn du fitte Schauspieler hast, kannst du dieses Werk locker in einem Monat auf die Beine stellen. Vorausgesetzt, sie lernen schnell ihre Texte und ihr baut ein paar Projekttage ein.

 

ZURÜCK ZU DEN THEATERSTÜCKEN

 

 

 

 

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0